«Wegen der Liebe arbeitslos» zum internationalen Loving Day
Catherine Aubert Barry
Zum internationalen Loving Day stellt die IG Binational fünf Forderungen an die Politik zum Thema Berufseinstieg von hoch qualifizierten Binationalen. Formuliert wurden diese Forderungen im Anschluss an die Veranstaltung „Wegen der Liebe arbeitslos“.
Vom gelingenden Erwerbseinstieg hängt sehr viel ab
Die Person, die im Familiennachzug in die Schweiz kommt, ist nicht allein: Sie oder er hat den Partner, die Partnerin, der/die sie liebt, hier heimisch ist und sich auskennt, zu dem sie ziehen kann. Wie gut die zugezogene Person sich sprachlich und beruflich zu integrieren vermag, liegt von sehr vielen Faktoren ab. Der hiesige Teil der Partnerschaft hat jedoch eine Schlüsselrolle: Von seinen sozialen und materiellen Möglichkeiten und von seinem Engagement, sich für die beruflichen Kompetenzen der migrierten Person auf dem schweizerischen Berufsmarkt einzusetzen, wird einiges abhängen. Denn sowohl Sprachkurs wie auch Anerkennung von ausländischen Diplomen brauchen viel Zeit und Geld. Dazu sind auch Beziehungen und Know-How gefragt.
Je besser die Position der migrierten Person in ihrem Heimatland war, desto höher sind ihre Erwartungen und dementsprechend auch ihre Frustration beim Misserfolg.
Doch nicht nur das harmonische binationale Paarleben steht auf dem Spiel. Bei durchschnittlich 40’000 im Familiennachzug in die Schweiz migrierten Personen stellen der Berufseinstieg und die Nutzung der Kompetenzen dieser Personen einen sozioökonomischen Faktor dar, der bisher in der Öffentlichkeit noch zu wenig wahrgenommen wurde und als Negativbilanz zu Buche schlägt.
Berufseinstieg ist nicht geschlechtsneutral
Frau Prof. Dr. Yvonne Riaño (Universität Neuchâtel und Projektleiterin beim Swiss National Center of Competence in Migration Research NCCR) betonte in ihrem Inputreferat, dass mehr Frauen als Männer jährlich im Familiennachzug in die Schweiz migrieren. In ihrer Studie «Integration und Ausschluss» zum Schweizer Arbeitsmarkt in Bezug auf gut qualifizierte Migrantinnen, hatten die migrierten erwerbstätigen Frauen (aus Lateinamerika, Nahem Osten und Südosteuropa) öfter als die in der Schweiz geborenen erwerbstätigen Frauen einen Hochschulabschluss (40% zu 18%). Aufschlussreich ist auch der Vergleich der Erwerbstätigenquote von in der Schweiz oder im Ausland geborenen Männer und Frauen. Am besten schneiden die Männer ab. Die in der Schweiz geborenen Frauen haben eine tiefere Erwerbstätigenquote und Durchschnittslohn sogar als im Ausland geborene Männer. Bei der Studie «Gleichstellung der Geschlechter» von Frau Riaño, welche die Perspektive auf Paare legte, zeigte der Berufsweg eines Paares mit vergleichbarem Hochschulabschluss (sie aus EU Land zugewandert) eindrücklich, wie der Genderaspekt hineinspielt und die Frau durch Migration und Geburten Karriereunter- und -einbrüche erlitt und beruflich immer wieder neu anfangen musste. Hingegen verlief die Laufbahn des Mannes steil und geradlinig. Im Gespräch räumte dieses Ehepaar ein, dass es rückblickend nicht immer die richtigen Entscheidungen gefällt hatte. Traditionelle Rollenmuster spielen mancher migrierten Frau, die an die Selbstverständlichkeit der Gleichstellung der Geschlechter glaubte, einen bösen Streich.
Spezifischen Eigenheiten der helvetischen Berufswelt
Das seit zwei Jahren in Zürich existierende Projekt von HEKS MosaiQ für gut qualifizierte MigrantInne zeigt, dass die Problematik nun erkannt und angegangen wird. Die Leiterin, Frau Susanne Teismann, zeigte die zahlreichen konkreten Knackpunkte auf: Bei qualifizierten Berufen sind die sprachlichen Anforderungen hoch, dementsprechend auch die Zeit, die fürs Deutschlernen aufgewendet werden muss, was relativ lange und kostspielig ist. Auch die Anerkennung der Diplome ist ein zeitlich und finanziell aufwändiger Prozess, insbesondere bei den vielen reglementierten Berufen (wie z.B. Arzt, Sozialarbeit). Indem MigrantInnen aufgeklärt und informiert werden über die Unterschiede der Ausbildungssysteme und Arbeitswelten, leistet MosaiQ einen kostbaren Beitrag zur beruflichen Integration. Dennoch gibt es Ausbildungen, für die in der Schweiz kein oder wenig Bedarf besteht (z.B. Meeresbiologie, oder Management von landwirtschaftlichen Grossbetrieben). Auch müssen die MigrantInnen viel Eigeninitiative entwickeln. Frau Teismann unterstrich, dass viele der von ihnen begleiteten MigrantInnen binational verheiratete Frauen und Männer sind. Sie meinte jedoch, diese seien bisher wie unsichtbar geblieben!
Individuelle Strategien im Hürdenlauf
Die zwei Männer und zwei Frauen, die zwischen zwölf und zwei Jahren in der Schweiz leben und in ihrem Herkunftsland einen qualifizierten Beruf ausübten, berichteten sehr unterschiedlich über ihren Berufsweg. Der brasilianische Filmer, der hier nicht qualifizierte Arbeit verrichtet, kann sich hie und da mit eigenen Filmprojekten ins hiesige Geschehen einbringen. Der tamilische Intellektuelle musste kämpfen, um nicht ständig in einer Küche zu landen, und hat nun Nischen im Integrationsbereich gefunden. Die Thailänderin, die erst seit zwei Jahren in der Schweiz lebt, hat 13 Jahre Berufserfahrung als Managerin in Thailand und Deutschland. Sie hat zusätzlich noch eine Schweizer Buchhalterausbildung gemacht und zur Zeit eine befristete Stelle in der gleichen Branche, in der sie zuvor in Thailand und Deutschland gearbeitet hatte, gefunden. Die Sozialarbeiterin mit schwedischen Zeugnissen hat bisher alles richtig gemacht: gut Deutsch gelernt, die Diplome anerkennen lassen und, wo noch Nachholbedarf bestand, an einer Fachhochschule die entsprechenden Module nachgeholt und eine attraktive Praktikumsstelle absolviert. Ohne die Grosszügigkeit ihres Partners wäre das nicht möglich gewesen, wie sie selber auf dem Podium unterstrich. Trotzdem hat sie bisher noch keine Stelle gefunden. Mehrmals wurde ihr gesagt, es fehle ihr die Beherrschung des Dialektes!
Die drei meistgewählten Thesen der 80 anwesenden Personen
Mit viel Engagement diskutierte das Publikum in Kleingruppen fünf Thesen, welche die OrganisatorInnen in Bezug auf die Problematik aufgestellt hatten. Die drei Thesen, die obenauf schwangen (max. 2 Stimmen pro Person):
– Ein gutes Beziehungsnetz ist wichtiger als ein gutes Diplom, um eine gleichwertige Stelle zu erhalten: 42 Stimmen
– Die Mutlosigkeit der Unternehmen, die durch Ablehnen zugewanderter BewerberInnen «auf Nummer sicher gehen», bedeutet, dass letztere bei Null beginnen oder ihre Fähigkeiten in einem Praktikum beweisen müssen: 24 Stimmen
– Ohne Dialektbeherrschung «passt man nicht ins Team» oder kann «keinen guten Kundenkontakt» pflegen. Offenbar ist der Dialekt in der Deutschschweiz der eleganteste Vorwand, um Diskriminierung zuzudecken: 20 Stimmen
Persönliche und sozialpolitische Ebene
Nach der Abstimmung der Thesen nutzte das Publikum rege die Möglichkeit, den Podiumsteilnehmerinnen Fragen zu stellen oder persönliche Voten abzugeben. Die persönliche Kränkung, hier beruflich nicht gefragt zu sein oder trotz Engagement beim Lernen der deutschen Sprache und dem Suchen von Job-Möglichkeiten, ständig Absagen zu ernten, wurde im Raum emotional spürbar. Die Belastung betrifft letztlich beide PartnerInnen einer binationalen Beziehung und nagt an der Paarbefindlichkeit.
Die Forderungen der IG Binational
Es ist höchste Zeit, dass die öffentliche Hand das Potenzial erkennt, das die jährlich (teilweise sehr gut ausgebildeten) 40’000 Personen im Familiennachzug für die hiesige Arbeitswelt darstellen. Es ist stossend, dass die Berufsintegration zu einem grossen Teil de facto auf dem Portemonnaie, dem Know How und dem Netzwerk des hiesigen Partners beruht.
1. Integrations- und Mentoringangebote für Hochqualifizierte, sei es von öffentlichen oder privaten Institutionen, sind unbedingt zu fördern und ihre Erfolgsquote ist zu überprüfen.
2. Systematische Beratung, Sensibilisierung und Aufklärung in verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren für binationale EhepartnerInnen ist in jedem Kanton aufzubauen.
3. Der Diskriminierungsschutz muss verbessert werden. Das Schaffen der gesetzlichen Grundlage im Bereich der Anti-Diskriminierung, in Anlehnung an die EU-Richtlinien, kann eine zusätzliche positive Wirkung erzeugen.
4. Um die Diplomanerkennung die beruflichen Integrationschancen zu verbessern, sollen die Kosten für das Anerkennungsverfahren durch öffentliche Stellen übernommen und gefördert werden.
5. Arbeitgeber sind von ihren Verbänden über branchenspezifische Anerkennungsverfahren, Arbeitsbewilligungen und ausländische Abschlüsse zu informieren, damit sie die Kompetenzen und Möglichkeiten ausländischer BewerberInnen besser einschätzen können.
Die Flüchtlinge wurden als Berufspotenzial entdeckt. Wie lange dauert es noch, bis auch die binational Migrierten als möglichen positiven Faktor der Wirtschaft Unterstützung und Förderung erhalten?
Autorin
Catherine Aubert Barry ist langjähriges Vorstandsmitglied der IG Binational, binational aufgewachsen und binational verheiratet. Sie ist pensionierte Gymnasiallehrerin.
Loving Day
In den USA wird am 12. Juni der «Loving Day» als bedeutender Bürgerrechtstag gefeiert. Der Loving Day verdankt seinen Namen dem Ehepaar Richard und Mildred Loving, die in den 1950er Jahren als sogenannt «gemischt-rassiges Paar» in Virginia/ USA nicht heiraten durften und deshalb weit von ihren Familien entfernt in Washington leben mussten. Mildred Loving klagte und erwirkte (mit Hilfe von Bürgerrechtsorganisationen) schliesslich am 12. Juni 1967 vom US-Bundesgericht, dass jegliches Verbot «rassenübergreifender Heirat» gegen die Verfassung der USA verstösst. Seit mehreren Jahren begehen die IG Binational und ihre europäischen Schwesternorganisationen den Loving Day Mitte Juni mit Sonderveranstaltungen oder Festen.
Bildquelle
Ruedi Lambert
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