Die ständige Angst vor der Ausweiskontrolle

Félice Baumann

Ehemaliges Vorstandsmitglied IG Binational

Bericht eines mit einer Schweizerin verheirateten Kongolesen, aufgezeichnet von Félice Baumann.

Meine Anwesenheit hier in der Schweiz muss ich immer wieder legitimieren. „Aha, Sie sind mit einer Schweizerin verheiratet. Was arbeiten Sie denn?“ Obwohl mir die Leute selten von sich aus erzählen, was sie selber arbeiten, ist dies bei Kontakten meist die erste Frage, die ich beantworten muss. Wenn ich diese Frage nicht beantworten könnte, wäre ich wohl unerwünscht hier.

Ein gutes Verhältnis zu den Behörden ist für mich sehr wichtig. Schon beim ersten Mal, als ich den Ausländerausweis abholte, realisierte ich dies. Denn mit diesem Ausweis konnte ich nachweisen, das mein Aufenthalt hier gestattet ist. Afrikanische Kollegen sagten mir, ich dürfe nie ohne dieses Papier spazieren gehen, sonst sei ich vor nichts sicher. Die Polizei könne mich jederzeit danach fragen und wenn ich nichts vorweisen könne, sei ich verloren. Deshalb müsse ich immer Ausschau halten nach der Polizei. So richtig konnte ich nicht glauben, dass mir etwas passieren könnte, denn ich bin ein ruhiger Mensch, der nicht gerne auffällt. In meinem Land ist es meist Zufall, Glück oder eine Frage der Bestechung, welche Dokumente jemand hat oder nicht. Hier kann man sich zum Voraus informieren, wie die Bürokratie funktioniert. Diese Sicherheit und Voraussehbarkeit finde ich toll und ich schätze die Beamten, die darauf bedacht sind, dass alles ordentlich abläuft.

Das Vertrauen bröckelt

Doch an einem Tag musste ich eine andere Seite der Schweiz kennen lernen: Wie üblich kam ich nachmittags von meiner Arbeit am Bahnhof an, und wollte mit dem Velo nach Hause fahren. Plötzlich stellte sich ein Polizeiwagen quer vor mich und hielt mich an. Ohne zu sprechen, rissen mich die zwei Polizisten vom Velo und stellten mich an die Wand. Ich dachte, es sei eine Verwechslung und versuchte mich zu erklären, meinen Ausweis zu zeigen. Als ich sagte, ich käme von der Arbeit, lachten sie nur und sie antworteten mir nicht. Sie wollten nicht einmal meinen Ausweis sehen, legten mir Handschellen an, zerrten mich ohne Worte in ihr Auto und fuhren mich zum Polizeiposten. Ich wollte meine Frau anrufen, doch sie sagten, dies sei nicht möglich. Zu viert wurde ich untersucht. Ich begann meine Kleider auszuziehen, und legte den Ausweis auf den Tisch. Als sie die Arbeitskleider unter der Jacke und meinen Ausweis (mit dem Vermerk „Verbleib bei CH-Ehefrau“) entdeckten, hörten sie auf. Sie sagten, die Untersuchung sei fertig und brachten mich zum Velo zurück. Ganz schockiert kam ich zuhause an.

Racial Profiling als alltägliche Praxis

Meine Frau konnte es kaum glauben, wie die Polizei vorgegangen war. Sie telefonierte sofort dem Polizeiposten, um nach den Gründen dieses Vorfalls zu fragen. Wir wurden vom Kommandanten eingeladen zu einer Aussprache. „Leider“ war von der „Kontrolle“ keinen Eintrag im Computer gemacht worden, es konnte deshalb auch nicht festgestellt werden, welche Beamten dafür verantwortlich waren. Der Kommandant bedauerte zwar das „Missverständnis“, erklärte aber auch, dass dies „etwas ganz Normales“ für die Polizei sei. Insbesondere weil die Aktion im Rahmen einer Drogenfahndung stattgefunden habe. Alle Schwarzen müssten regelmässig überprüft werden, da der Drogenhandel zur Zeit in Händen von Schwarzafrikanern sei. Mit dem Argument meiner Frau, es sei rassistisch, wenn alle Afrikaner, nur weil sie dunkelhäutig sind, kontrolliert würden; war der Kommandant nicht einverstanden. Er meinte, dies sei nun mal das Erkennungsmerkmal Nr. 1 der aktuellen Drogendealer. Es würde zu kompliziert, wenn die Polizei auf Verhaltensmerkmale, Kleidung, ect. schauen müssten (– wie sonst bei den Weissen). Auch ein anderes, humaneres Vorgehen sei nicht möglich, denn die Polizei müsse sich schützen. Die Eindrücke der Handschellen an meinem Handgelenk vergingen nach zwei Tagen, der Schock in mir drin bleibt jedoch. Auch wenn ich eines Tages den Schweizer Pass habe, wird sich nichts ändern daran, dass ich jederzeit damit rechnen muss, auf der Strasse kontrolliert zu werden.

Anmerkung des Vorstands

Der IG Binational werden jedes Jahr einige Fälle dieser Art gemeldet. Meist sind sie zu unspektakulär, um damit an die Presse zu gehen oder ein Rechtsmittel zu ergreifen, denn die Opfer der Polizei werden meist nach relativ kurzer Zeit wieder frei gelassen.

Die Häufigkeit der Kontrollen variiert zeitlich und örtlich. Für viele Schweizer Frauen mit ausländischen Ehemänner ist es meistens das erste Mal, dass sie die Polizei nicht als „Freund und Helfer“, sondern als Urheber rassistischer Übergriffe oder Ungerechtigkeiten erleben. Mit der Zeit nehmen es viele Paare in Kauf, gewisse Plätze zu meiden oder Umwege gehen zu müssen.

Wenn man bedenkt, wie viele Fälle es geben muss, wo keine Schweizer Partnerin, kein Schweizer Partner im Hintergrund steht, die/der Hilfe holen kann, ergibt sich ein trauriges Bild: Asylsuchende, Papierlose, Flüchtlinge, Touristen oder auch Schweizer mit anderer Hautfarbe, die damit leben müssen, jederzeit kurzerhand an Handschellen abtransportiert zu werden.

Vor einigen Jahren hat sich eine Gruppe gebildet, die sich gegen die Diskriminierungen wehrt. Wer selber Opfer von Racial Profiling geworden ist oder sich vertiefter mit dem Thema auseinandersetzen will, kontaktiert am besten die Allianz gegen Racial Profiling.

Quellenangabe

Baumann Félice: Die ständige Angst vor der Ausweiskontrolle. Bericht eines mit einer Schweizerin verheirateten Kongolesen. Erstmals erschienen in der Zeitschrift von Solidarité sans frontières Bern, 2001.

verwandte Artikel

  • Erfahrungsberichte

    Die ständige Angst vor der Ausweiskontrolle

    Ich wohne in einer Kleinstadt mit ca. 20’000 Einwohnerinnen und Einwohner am Jurasüdfuss, wo es nicht viele Afrikaner gibt, die hier leben. Als Schwarzer falle ich überall auf, auch wenn ich nicht unbedingt darunter leide. Durch meine Hautfarbe werde ich oft als „interessanter Exote“ angesehen, als etwas Spezielles.