Damit das Heimspiel nicht zum Eigengoal wird

Catherine Aubert Barry

Vorstandsmitglied IG Binational

Was bei einem Familiennachzug aus einem Drittland zu beachten ist

Aus Gründen der Leserlichkeit wird die weibliche und die männliche Form abwechselnd gebraucht.

Sie haben sich in einem Drittland verliebt und nach einer Zeit Fernbeziehung ist es Ihnen gelungen, alle Papiere zu beschaffen und zu heiraten. Ihre Liebe darf eines Tages als Familiennachzug in die Schweiz einreisen und hier mit Ihnen leben. Sie empfinden Ihre Partnerin als Ihnen ebenbürtig und gehen von einer Partnerschaft auf Augenhöhe aus. Die objektive Situation der ersten Jahre jedoch gefährdet dieses Selbstverständnis und birgt einige Herausforderungen, denn sie versetzt das Paar in ein extremes Machtungleichgewicht.

1. Herausforderung: juristische Abhängigkeit

Die aus Liebe immigrierte Person ist fünf Jahre lang juristisch von Ihnen abhängig, denn ihr Aufenthaltsstatus ist, aufgrund Ihres Schweizer Passes oder Ihrer Niederlassungsbewilligung, an Ihnen und an Ihre eheliche Gemeinschaft gebunden und muss alle Jahre um ein Jahr erneuert werden. Wenn Sie beim ersten Konflikt diese Macht ausspielen, erniedrigen Sie die Würde Ihres Partners und sägen am Gemeinschaftsgefühl, das Sie gerade in den ersten Ehejahren aufbauen sollten. Negative Gefühle als Ich-Botschaften benennen ist schon schwierig genug, werden sie in Drohungen verwandelt, knabbern sie am Grundvertrauen.

Weniger existentiell bedrohlich wird die juristische Abhängigkeit bei der erleichterten Einbürgerung nochmals durchgespielt, denn der Schweizer Pass kann bei Trennung/Scheidung noch nach acht Jahren der aufgrund der Ehe mit Ihnen erleichtert eingebürgerten Partnerin entzogen werden.

2. Herausforderung: Sprache

Wenn Sie Glück haben, können Sie in einer gemeinsamen Sprache kommunizieren, die Sie ähnlich gut beherrschen. Fast in jedem Fall muss die Person, die aus Liebe zu Ihnen in die Schweiz gezogen ist jedoch Deutsch lernen. In der deutschsprachigen Schweiz heisst das zuerst eine Sprache lernen, in der wenig Menschen antworten und die im Alltag nicht gehört wird, weil in Dialekt kommuniziert wird. Ein echtes Erschwernis! Auch wenn Ihr Partner sprachbegabt ist, wird er möglicherweise damit lang Mühe haben und auch noch nach Jahren in diesem Bereich Ihre Unterstützung benötigen, zum Beispiel bei heiklen amtlichen Telefonaten oder beim Verfassen von Bewerbungen und anderen offiziellen schriftlichen Anfragen. Bevor Sie Ihre Enttäuschung äussern, überlegen Sie sich, wie es gewesen wäre, wenn Sie in sein Land gezogen wären, welche sprachlichen Barrieren Sie da hätten überwinden müssen.

3. Herausforderung: Geld

Mit grösster Wahrscheinlichkeit wird Ihre Partnerin sich weder beruflich in der Schweiz sofort entfalten können, noch ihren finanziellen Beitrag am Familieneinkommen durch Eigenverdienst ab dem ersten Tag leisten können. Zuerst muss die Sprache gelernt sein und bei einer Person aus einem Drittstaat sind meist auch die Diplome nicht anerkannt. Dies stellt eine grosse finanzielle Herausforderung dar, denn die Krankenkassenprämien und die anderen Lebenshaltungskosten für zwei wollen bezahlt sein. Hinzu kommen die Kosten der Deutschkurse, was Ihr bisheriges Budget erhöhen wird. Zusätzlich fallen auch gelegentliche Reisen ins Herkunftsland Ihrer Partnerin finanziell ins Gewicht und möglicherweise müssen Sie auch die Familie im Herkunftsland unterstützen. Einkommenshöhe, finanzielles Polster und gutes Wirtschaften und Einteilen des Geldes spielen also auch da eine erhebliche Rolle.

4. Herausforderung: Berufseinstieg

Beim Berufseinstieg hängt auch viel davon ab, wie hoch der berufliche Status Ihres Partners im Herkunftsland war und wie sehr ihm dieser Status für seine Identität wichtig ist. Migration bringt leider in den meisten Fällen einen sozialen Abstieg mit sich. Zum Berufseinstieg braucht es meist auch Beziehungen und wenn Ihnen die fehlen, kann in einer ersten Phase Freiwilligenarbeit oder ein Praktikum Ihres Partners den Berufseinstieg ermöglichen.

Wenn die Zuschreibungen der eigenen Bewerbung mit dem Selbstbild kollidieren

Das schweizerische Berufs- und Bildungssystem eröffnet aber auch neue Chancen: Praktisch in jedem Alter kann eine Berufsqualifikation nachgeholt werden, sei es durch ein berufliches Validierungsverfahren, eine Berufslehre oder andere Ausbildungen. Der Weg dahin ist zugegebenermassen anstrengend und lang; er garantiert jedoch praktisch in jedem Fall Vollbeschäftigung und einen anständigen Lohn.

Unsere Erfahrung zeigt, dass der persönliche Druck sich beruflich zu integrieren, bei Männern sozial immer noch grösser ist und dann (mehr oder weniger gut) auch irgendwann gelingt. Wohingegen bei Frauen auch mit sehr guter Bildung das Kinderkriegen und -erziehen die berufliche Integration um Jahre hinauszögern kann.

5. Herausforderung: fehlendes Alltags- und Kulturwissen und wenig sozialen Rückhalt

Aufgrund der Liebe hat Ihre Partnerin für Sie alles verlassen: die Familie, den Freundeskreis, das soziales Umfeld und die soziale Position. Hier muss wieder bei Null begonnen werden und alles neu gelernt werden, muss sie sich an völlig neue Bedingungen gewöhnen und hat am Anfang nur Sie als Rückhalt. Das beginnt bei einfachen Fragen wie das Funktionieren des Verkehrsnetzes, das Lesen von Plänen und Abfahrtstafeln, das Tätigen von Einzahlungen, das Begreifen der christlichen Jahresfestabfolge und der Jahreszeiten, das Begreifen des politischen und sozialen Systems sowie zahlreiche ungeschriebene Gebräuche und Gesetze und Vieles mehr.

Wenn Sie gemeinsam ein Kind haben und Ihre Partnerin empfiehlt bei Magenkrämpfen des Babys Ananassaft als Heilmittel, dann wird dies vermutlich Ihrer Familie nicht einleuchten und ihre ist nicht da, um ihren Rat zu stützen und ihr Rückhalt zu geben. Also besteht auch in diesem Bereich ein völliges Ungleichgewicht.

Wenn Papas Hausmittel gegen Bauchkrämpfe Mamas Familie nicht einleuchtet

Gerade im Alltagswissen haben Sie als Person die sich hier auskennt oder hier aufgewachsen ist eine zentrale Funktion. Nehmen Sie die Fragen Ihres Partners ernst und erklären Sie lieber einmal zu viel als einmal zu wenig, sodass seine Selbständigkeit möglichst schnell wachsen kann. Seine Fragen und sein Blick auf das, was Ihnen in Ihrem Umfeld gar nicht mehr auffällt, werden Sie auch als Bereicherung erleben.

6. Herausforderung: Tabuisierte Verlustgefühle

Wenn aus der Verliebtheit gelebte Zweisamkeit wird, verlieren wir in der Regel auch einige der positiven Projektionen, die wir auf die Partnerin gemacht hatten, denn wir beginnen sie reell zu kennen. Vielleicht hatte auch Ihr Partner viele Phantasien in Bezug auf ein Leben in der Schweiz, die sich überhaupt nicht bewahrheiten und sich als Illusionen erweisen.

Dass die Person, die für die Liebe alles zurückgelassen hat, einen grossen Verlust erlebt, leuchtet ein. Das Problem ist, dass der Grund der Migration – die Liebe – an sich eine positive Angelegenheit ist und deshalb dieser Verlust eher tabuisiert und verdrängt wird. Es ist eigentlich besser sich des Verlustes bewusst zu sein, denn spätestens beim ersten Sehnsuchtsschub meldet er sich sowieso zurück.

Aber auch die Person, die schon vorher hier in der Schweiz gelebt hat, kann Verlustgefühle erleben, Zum Beispiel wenn sie sehr viel Verantwortung für den Anderen übernehmen oder in der Anfangszeit mehr arbeiten muss, damit das Geld reicht, so lange der Andere noch nicht verdient. Auch in der Verfassung garantierte Grundrechte wie Privatsphäre werden zunichte gemacht, wenn die Polizei an einem Sonntagmorgen unangemeldet klingelt um „die Ehe festzustellen“ (wie im Kanton Zürich bei erleichterter Einbürgerung üblich). Ein Teil des Misstrauens, mit dem die Umwelt und Behörden Menschen aus Drittländern begegnen, strahlt auf den hiesigen Partner ab und kann ihm zu schaffen machen.

Einen guten emotionalen Zugang zu sich selbst und den eigenen Gefühlen gegenüber und viel kommunikativer Austausch mit Empathievermögen sind da von Nutzen, um solche heikle Fragen erkennen, benennen und gemeinsam überwinden zu können.

7. Herausforderung: Diskriminierung

Je offensichtlicher Ihre Partnerin sich äusserlich von einem Schweizer unterscheidet (oder wie die Leute meinen, ein Schweizer habe auszusehen), umso nachhaltiger wird sie sich vom ersten Tag an mit diesem Problem auseinander zu setzen haben. Aber auch wenn nichts auffällt, wird spätestens beim Sprechen der Akzent abgrenzende kritische oder reduzierende Verhaltensweisen des Umfeldes provozieren und „nicht bös“ gemeinte Fragen (die jedoch in der Häufung garantiert eine zermürbende Wirkung haben) wie „Woher kommst du?“ auslösen. Wenn Ihr Partner dunkelhäutig ist, wird sich das noch mit Ihren gemeinsamen Kindern abspielen, obwohl sie Schweizer sein werden, die kein anderes Land so gut kennen wie die Schweiz.

Wenn trotz vollem Zug der Platz neben dir frei bleibt

In der ersten Lebensphase in der Schweiz ist es wichtig, dass Sie die Verletzungen Ihrer Partnerin, die sie infolge empfundener Diskriminierung erlebt, ernst nehmen, darauf eingehen und mit ihr Strategien besprechen, wie sie damit umgehen kann. Mit der Zeit wird sie das können und weniger darunter leiden. Zum Glück gibt es auch immer Einzelfälle von Personen, die sich die Mühe nehmen, die anders aussehende Person kennenzulernen und ihren Eigenschaften gebührend beruflich zu fördern.

Bitter ist die Feststellung, dass solange die zugewanderte Person ihre Arbeit in hierarchisch untergeordneter Rolle gut macht, ihr weniger Widerstände entgegengebracht werden, als wenn sie sie so gut macht, dass sie eine Leitungsfunktion erhält.

Trotzdem: Binationale Beziehungen stellen eine Chance dar

Wenn sich beide dieser objektiv gegebenen Schwierigkeiten bewusst sind, können sie diese auch besser angehen, ohne dass sie mit gegenseitig überhöhten Erwartungen den anderen unter Druck setzen. In einer binationalen Beziehung dieser Art muss wie schon gesagt viel mehr miteinander ausgehandelt, diskutiert und aufeinander eingegangen werden. Wenn dies gelingt, ist es eine sehr bereichernde Angelegenheit, denn man/frau wird sich selbst sowie das bisherige Umfeld anders und besser kennenlernen und den persönlichen Erfahrungsschatz und Horizont nicht nur um die Kenntnisse über die Herkunftskultur der Partnerin erweitern.

Aber auch mit jeder binationalen Familie mehr, die sich hier selbstverständlich im Alltag bewegt, wächst die Chance einer erhöhten sozialen Akzeptanz und dafür, dass sie eine Bereicherung darstellt. Es braucht eine gewisse Zeit, bis dieser Normalität genau so viel „Swissness“ zugeschrieben werden wird. Die IG Binational arbeitet seit 1980 daran.

 

Autorin

Catherine Aubert Barry ist langjähriges Vorstandsmitglied der IG Binational, binational aufgewachsen und binational verheiratet. Sie ist pensionierte Gymnasiallehrerin.

Illustrationen

Die Illustrationen wurden von Ruedi Lambert gezeichnet.

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