Schwarz-weisse Paare – Schwarz-weisse Denkmuster?

Kathrin Oester

Sozialanthropologin, Pädagogische Hochschule Bern

Führt für «couples dominos», wie man in Frankreich schwarz-weisse Paare nennt, ein Weg vorbei an alten, aus der Kolonialzeit stammenden Vorurteilen? Würden wir in einer aufgeklärten Gesellschaft leben, so eine erste Antwort, hätten Stereotype längst ausgedient. Tatsächlich sind schwarz-weisse Paare mit einem Schwarz-Weiss-Denken konfrontiert, das sie bis heute nicht aus der rassistischen Logik entlässt. In den Kolonialgesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts waren Ehen zwischen Kolonisten und Kolonisierten grundsätzlich verpönt; aussereheliche Beziehungen zwischen weissen Männern und farbigen Frauen wurden toleriert, während sexuelle Beziehungen zwischen weissen Frauen und farbigen Männern, ganz der patriarchalen Logik folgend, als skandalös verurteilt wurden (vgl. Stoler 1989). Namhafte Denkerinnen und Denker von Frantz Fanon (1952) über Gayatri Spivak (1986) bis zu Stuart Hall (1994) befassen sich mit der Thematik. Und Disziplinen von der Anthropologie über die Psychoanalyse bis zu den post-kolonialen Studien thematisieren das Begehren des weissen Mannes nach der schwarzen Frau, die enge Verkoppelung von Macht und Sexualität und die Lust am Exotischen. Doch nicht nur die Wissenschaft, auch die Literatur, die bildende Kunst, die Populär- und Kitschkultur liessen sich vom schwarz-weissen Gegensatzpaar inspirieren – Gauguin ist bei näherem Hinsehen nur einer unter vielen. Postkarten, Nippesund Schmuck-Gegenstände – heute zunehmend in ironisierter Form – zeugen von der fortdauernden Lust am Exotischen, mit oft rassistischen Untertönen. Wie sehr der Rassismus in neokolonialen Machtverhältnissen bis heute auf gewalttätige Weise aktuell geblieben ist, verdeutlichen nicht zuletzt Ulrich Seidls Filme «Paradies: Liebe» (2012) und «Die letzten Männer» (1994), die den Sextourismus von weissen Frauen in Kenia und die Liasion weisser Männer mit farbigen Frauen in allen lüsternen, erniedrigenden und beschämenden Details heutiger Konsumkultur ausleuchten.

Schwarze Haut, weisse Masken

1952 publizierte der aus der Karibik stammende Frantz Fanon «Schwarze Haut, weisse Masken». Er legte in seinem Buch dar, wie der in der Kolonialgeschichte wurzelnde Rassismus mit (sexueller) Erniedrigung verknüpft ist. Dabei zeigte er – seiner Zeit weit voraus – mit analytischer Schärfe auf, dass es im Verhältnis zwischen Schwarz und Weiss nicht beim simplen Täter-Opfer-Schema des weissen Mannes gegenüber dem schwarzen Opfer bleibt. Gerade durch die Übernahme der Opferrolle riskieren Kolonisierte, selbst aktiv an der Aufrechterhaltung der herrschenden Machtverhältnisse teilzuhaben. Dabei hauchen sie in spiegelbildlicher Verstrickung mit dem Täter alten Klischees neues Leben ein. Das Spiel der Umkehrungen und Verschiebungen im Täter-Opfer-Schema ist seit den 1950er-Jahren nicht zum Stillstand gekommen. Unter anderem illustriert der bereits erwähnte Film «Paradies: Liebe» in drastischen Bildern den rassistischen Diskurs der weissen Frau über den schwarzen Mann und umgekehrt des schwarzen Mannes über die weisse Frau. Oder: In der Figur des «Sugar Daddy» begegnen wir den Klischees der schwarzen Frau über den weissen Mann. Seit Fanon sind die Argumentationslinien des Schwarz-Weiss-«Dispositivs» in aller feministischen Feinheit und psychologischen, soziologischen und historischen Tiefe re-konstruiert und de-konstruiert worden. Als Effekt dieser Aufklärungsarbeit erfuhr die Thematik eine starke Pädagogisierung und Psychologisierung. Zahlreiche sozialpädagogische Initiativen und Beratungsgruppen bearbeiten seither zusammen mit den «Betroffenen» das Thema. Was kann uns heute an der Thematik noch interessieren, nachdem stereotypisierte Zuschreibungen als Mythen entlarvt worden sind, nachdem rassistische Äusserungen gesetzlich verboten sind, und diskriminierende Praktiken über normative Regulationen politischer Korrektheit in vielen Ländern einklagbar sind? Was kann uns noch inspirieren, uns weiterhin mit der Frage zu beschäftigen, nachdem das einst geheime Begehren des weissen Mannes nach der schwarzen Frau auf das patriarchalische Unbewusste und die herrschenden Machtverhältnisse in (post-)kolonialen Gesellschaften zurückgeführt wurden, nachdem das Begehren der weissen Frau nach dem schwarzen Mann als exotistisch und der sexuelle Akt des schwarzen Mannes mit der weissen Frau als erniedrigender «Racheakt» entlarvt worden sind?

Hat die Aufklärung versagt?

Es gibt zwei Gründe für eine fortdauernde Beschäftigung mit der Thematik. Der erste liegt in der «Dialektik der Aufklärung» (Adorno/Horkheimer 1944). Kurz und vereinfacht: Was wir kraft unserer Vernunft analysieren und rationalisierend wegerklären, so Adorno und Horkheimer, ist deshalb als Phänomen noch lange nicht verschwunden. Gerade aufgrund des aufklärerischen Anspruchs, nicht nur die äussere, sondern auch unsere innere Natur – samt ihren verbotenen Lüsten – zu besiegen, verstrickt sich Aufklärung immer wieder in Mythologie. So stellt sich der Glaube an den Sieg der Vernunft selbst als Mythos heraus. Trotz dieser Einsicht halten Adorno und Horkheimer am Anspruch der Aufklärung fest, im Wissen darum, dass die Mitglieder einer Gesellschaft, auch wenn sich diese noch so aufgeklärt wähnt, doch immer wieder gegen die Regeln der Vernunft verstossen. In einer aus Geschichten gewobenen und von Geschichte geformten Welt versuchen wir, Ordnung zu schaffen. Dabei grenzen wir Unliebsames aus und schliessen Wertvolles ein. Wir bedienen uns bei dieser ordnenden Tätigkeit alter, zu Stereotypen geronnener Vorurteile, um darauf unser scheinbar unumstössliches Gebäude von Identität und Andersartigkeit zu errichten. Der Schwarz-Weiss-Gegensatz eignet sich dafür besonders gut! Richtig und falsch, wissenschaftlich und mythologisch, modern versus vormodern, männlich versus weiblich, potent versus impotent, verzauberte und entzauberte Welt, Wildheit und Zivilisiertheit: Dies sind nur ein paar der Gegensatzpaare, mithilfe derer wir uns in der Welt einrichten. Wie keine andere Paarbeziehung fordern «couples domino» dazu heraus, mittels historisch beladener, bedeutungsschwangerer Gegensätze Ordnung in unübersichtlichen Verhältnissen zu schaffen. Dabei potenziert sich für die Paare selbst sowohl das Risiko des Scheiterns, das eine Beziehung zwischen den Geschlechtern immer schon beinhaltet, wie die Möglichkeit des Triumphes über alte Vorurteile. Wissenschaftliche Untersuchungen über binationale Paarbeziehungen bestätigen die Vermutung, dass auch in einer libertären, scheinbar aufgeklärten Gesellschaft, die alles erlaubt, was gefällt, «couples domino» unter dem Schwarz-Weiss-Denken zu leiden haben: Sie kommen bis heute nicht um eine erhöhte Aufmerksamkeit herum, stossen bei ihren Eltern und im Freundeskreis im positiven Fall auf Neugier und Interesse, im negativen Fall auf Ablehnung. Und sie sind sich der Vorurteile und Stereotype wie der erhöhten Aufmerksamkeit, der sie begegnen, stets bewusst (vgl. u.a. Menz 2008).

Inszenierung von Lebensstilen in der globalisierten Gesellschaft

Der zweite Grund, weshalb wir uns auch heute noch für die Thematik von Schwarz und Weiss interessieren (sollten), hängt mit dem ersten zusammen, geht aber darüber hinaus. In einer mobilen, kulturell vielfach verflochtenen Gesellschaft treffen nicht einfach unterschiedliche Kulturen aufeinander. Hand in Hand mit globalen Vereinheitlichungsprozessen entstehen laufend neue Partikularismen und Lebensstile, begleitet von spezifischen Dynamiken, die sowohl Einschluss wie Ausschluss beinhalten. Dabei vermischen sich Schwarze und Weisse nicht nur kulturell, vielmehr setzen sie sich auch auf neue Weisen im Sport, in Jugendkulturen, Musik- und Lifestyles zueinander in Beziehung. Zwei parallele Ordnungsprinzipien stehen sich dabei gegenüber: Einerseits setzen neo-koloniale Machtverhältnisse Weisse und Schwarze nach wie vor in die bereits beschriebene hierarchische Beziehung zueinander. Gleichzeitig werden die alten Gegensatzpaare aber von neuen, oft unvorhersehbaren Bedeutungen überlagert. Schon in den 1960er-Jahren verkehrte der Slogan «Black is beautiful» die Diskriminierung der Schwarzen in ihr Gegenteil. In vielen (europäischen) Jugendkulturen gelten Schwarze in Anlehnung an die Stars des Showbusiness als «cool» – ebenso die Fähigkeit, Englisch oder Französisch mit einem «afrikanischen» Akzent zu sprechen. Der rasche Bedeutungswandel, die fortwährenden Verschiebungen und Differenzierungen in mobilen, von Diasporabeziehungen geprägten Gesellschaften haben zur Folge, dass wir alle permanent daran sind, Codes zu schaffen, sie zu deuten und in neue Zusammenhänge zu bringen.

Wege aus der «Identitätsfalle»

Die Herausforderung, sich in diesem Kontext zurechtzufinden, hat interessante Gegenstrategien hervorgebracht. Sie rütteln auf unterschiedliche Weise am schwarz-weissen Fundament diskriminierender Zuschreibungen. Während die eine Strategie auf die identitätspolitisch begründete Bejahung der eigenen Kultur und die Einforderung von Gruppenrechten setzt, schlägt der indische Wissenschaftler Amartya Sen (2010) den Weg individueller Selbstbestimmung in einer individualistisch geprägten Gesellschaft vor. Kurz zusammengefasst fordert er, uns endlich der «Identitätsfalle» zu entledigen. Wir, so Sen, haben alle viele, wechselnde Zugehörigkeiten und nicht eine Identität. Wenn es nun keine fixierten kulturellen Identitäten mehr gibt, so seine Argumentation, brauchen wir auch keinen «Kampf der Kulturen» und keinen diskriminierenden Ausschluss dessen mehr, was vorgängig als das «Andere» konstruiert worden ist. Gegenseitiges Verständnis würde dann nicht heissen, alles zu teilen, sondern nur jene Rollen zu verstehen und jene Zugehörigkeiten zu teilen, die im konkreten Fall relevant für uns sind. Solch individualisierende Strategien vermindern grundsätzlich den Druck auf «couples domino». Dennoch leben auch Vorurteile in Form demonstrativer Toleranz, positiver Diskriminierung oder stummer Ablehnung fort, und zwar in dem Masse, wie die koloniale Vergangenheit in den aktuellen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen gegenwärtig ist.

Literatur und zitierte Filme

Fanon, Frantz, 2013 (franz. 1952), Schwarze Haut, Weisse Masken. Berlin, Wien: Turia + Kant.
Hall, Stuart, 1994, Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. Hamburg: Argument Verlag.
Horkheimer, Max, Theodor W. Adorno, 1988 (1944), Dialektik der Aufklärung. Frankfurt a. M.: Fischer.
Menz, Margarete, 2008, Biographische Wechselwirkungen. Genderkonstruktionen und «kulturelle Differenz» in den Lebensentwürfen binationaler Paare. Bielefeld: transcript Verlag.
Seidl, Ulrich, 1995, Die letzten Männer (45 Min.). Österreich: Lotus-Film.
Seidl, Ulrich, 2012. Paradies: Liebe (120 Min.). Österreich, Deutschland, Frankreich: good! Movies.
Sen, Amartya, 2010, Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt. München: dtv.
Spivak, Gayatri, 1986, Imperialism and Sexual Difference. In: Oxford Literary Review 8, 1: 225-244.
Stoler, Anne, 1989, Rethinking Colonial Categories: European Communities and the Boundaries of Rule, Comparative Studies in Society and History 31, 1: 134-161.

Die Autorin

Kathrin Oester ist Sozialanthropologin, spezialisiert in Bildung, Migration und Medien. Als Leiterin der Abteilung «Schule und Gesellschaft» arbeitet sie am Institut für Forschung und Entwicklung (IFE) der Pädagogischen Hochschule Bern. 2002 veröffentlichte sie zusammen mit der Gruppe Swisslinks «DestiNation Liebe», einen Film zu binationalen Paarbeziehungen in der Schweiz.

Quellenangabe

Dieser Artikel wurde erstmals in der Zeitschrift terra cognita (Nr. 24, Frühling 2014) veröffentlicht.

Abstracte

«Couples dominos» – un mode de penser en noir et blanc?

Jusqu’à ce jour et en dépit d’un travail de vulgarisation des principes des droits de l’homme effectué pendant des décennies et malgré une analyse scientifique, les couples mixtes noir-blanc sont confrontés à des préjugés et sont victimes de stéréotypes. Cela a plusieurs causes. Outre les relations de pouvoir historiques entre le Nord et le Sud, il y a à l’origine cette tendance de la pensée binaire. Pour les individus qui veulent mettre de l’ordre dans des situations confuses, le monde est en noir et blanc. Au cours de ces dernières décennies, les relations de couples binationaux sont un sujet qui a connu un pédagogisme et une psychologisation qui se reflètent dans de nombreuses offres de conseils socio-pédagogiques. Le stéréotype néocolonial continue certes d’agir, mais en parallèle de nouvelles stratégies sont mises en place pour faire face aux anciennes pratiques de stigmatisation. Tandis qu’une stratégie consiste à affirmer ses propres racines culturelles fondées sur une politique identitaire et à exiger des droits pour son groupe (ethnique), une autre stratégie emprunte la voie de l’autodétermination individuelle dans une société individualiste. Amartya Sen nous invite par exemple à nous affranchir enfin du « piège identitaire ». Nous avons tous de nombreuses appartenances variables et non pas qu’une seule et unique identité. S’il n’existe plus d’identités culturelles déterminées – telle est son argumentation –, nous n’aurons alors plus besoin de lutter pour une culture quelconque et nous n’aurons plus non plus besoin de faire une exclusion discriminatoire de ce que l’on avait d’emblée qualifié « d’altérité ». Une compréhension mutuelle ne signifierait non pas tout vouloir partager, mais seulement comprendre les rôles et partager les appartenances auxquelles nous attachons de l’importance dans un cas concret. De telles stratégies individualisées réduisent tout au moins la pression exercée sur les couples dominos.

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