Schweizer Bürger (Binationale) benachteiligt

alte häsin
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Schweizer Bürger (Binationale) benachteiligt

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Tagesanzeiger

Von Stefan Schürer
Gemäss Bundesgericht sollen Schweizer beim Familiennachzug gegenüber EU-Zuwanderern nicht länger schlechtergestellt werden. Doch die Politik ignoriert den Appell aus Lausanne.
Die Vorgaben des Bundesgerichts sind eigentlich klar. Für eine Privilegierung von EU-Bürgern gegenüber Schweizern bestünden keine vernünftigen Gründe, hielt das höchste Schweizer Gericht vor über zwei Jahren fest. Das Parlament habe deshalb die Ungleichheiten beim Familiennachzug zu beseitigen. Doch die Politik bewegt sich seither in die Gegenrichtung. Zuerst lehnte der Nationalrat einen Vorstoss von SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin ab, der mit der Benachteiligung der Schweizer aufräumen wollte. Und nun will der Bundesrat mit zwei Gesetzesvorlagen die Privilegierung von EU-Bürgern gar noch ausbauen.

Nach den Plänen der Regierung sollen Schweizer ihre Partner und Kinder aus Nicht-EU-Staaten nur noch ins Land holen können, wenn sie über eine «bedarfsgerechte Wohnung» verfügen und nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind. GENAU DAS HABEN WIR SCHON VORAUSGESEHEN, aber niemand steht auf der seite der binationalen weniger bemittelten schweizerInnen
Für EU-Zuzüger, die ihre Frau etwa aus Brasilien oder den USA in die Schweiz nachziehen möchten, gelten die zusätzlichen Hürden hingegen nicht. Marc Spescha, Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter an der Uni Freiburg, geht mit dem Vorhaben hart ins Gericht: «Schweizer mit Familienangehörigen aus Drittstaaten werden im Vergleich zu EU-Staatsangehörigen noch weiter diskriminiert, als dies bereits heute der Fall ist.»

«Geist der Migrationsabwehr»

Die gleiche Tendenz macht Spescha im geplanten Integrationsgesetz aus. Laut Vernehmlassungsentwurf müssen etwa Ehegatten, die zu ihrem Schweizer Partner ziehen möchten, ausreichende Sprachkenntnisse nachweisen oder sich für einen Sprachkurs einschreiben. Beherrschen sie nach einem Jahr keine Landessprache, wird ihre Aufenthaltsbewilligung nur verlängert, wenn sie sich erneut bei einer Sprachschule angemeldet haben. Doch auch hier gilt: Der Ehepartner des EU-Bürgers kann sich um die Anforderungen foutieren. Nur der Partner des Schweizers muss dem Aufgebot nachkommen. Die so entstehenden Ungleichbehandlungen sind laut Vernehmlassungsentwurf zwar «nicht unproblematisch», aufgrund der erhofften positiven Wirkung auf die Integration aber durchaus «vertretbar».

Die Situation sei paradox, klagt Spescha. Während das Bundesgericht die Situation als unhaltbar betrachte, liefen die jüngsten Bestrebungen auf noch mehr Ungleichbehandlung hinaus. Dass dadurch Schweizer benachteiligt würden, werde einfach in Kauf genommen. Dabei geht es nicht um Einzelfälle. 2011 schlossen rund 4700 Schweizer Männer eine Ehe mit aus Drittstaaten stammenden Frauen, wobei sich diese teilweise bereits vor der Hochzeit rechtmässig in der Schweiz aufgehalten hatten. Häufigste Herkunftsländer der Gattinnen sind die Staaten des ehemaligen Jugoslawien (1046), Russland (249), Thailand (470) und Brasilien (426). Schweizerinnen gingen 2011 insgesamt gut 3500 Ehen mit Drittstaatenangehörigen ein. Knapp ein Drittel der Gatten stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien.

Eltern dürfen nicht kommen

Für all diese Ehen gilt das Ausländergesetz. Für Spescha ist es von einem «Geist der Migrationsabwehr» geprägt. Das Abkommen über die Personenfreizügigkeit, das bei EU-Zuzügern zur Anwendung gelangt, sei hingegen mobilitäts- und familienfreundlich. «Dies führt zur absurden Situation, dass Schweizerinnen und Schweizer gegenüber Europäern schlechtergestellt sind», so Spescha.

Längst ist nicht mehr bloss der klassische Nachzug von Ehefrau und Kindern betroffen. «In der Praxis werden Schweizer mit ausländischen Familienangehörigen in immer mehr Bereichen schlechtergestellt», sagt Spescha. Dazu gehören unter anderem folgende Gebiete:

Eltern und Schwiegereltern: Verfügen EU-Zuzüger über genügend finanzielle Mittel, können sie ihre Eltern respektive Schwiegereltern in die Schweiz holen. Sie müssen nur den Unterhalt garantieren. Eine Einwanderin aus Deutschland darf daher ihre Schwiegereltern aus Brasilien problemlos nachziehen. Das Ausländergesetz hingegen sieht den Nachzug von Verwandten in aufsteigender Linie bei Drittstaatenangehörigen nicht einmal vor. Der Entscheid liegt im Ermessen der Migrationsbehörde. Für einen Schweizer besteht bloss Aussicht auf Erfolg, wenn die Eltern oder Schwiegereltern pflegebedürftig sind.
Stiefkinder: Will ein EU-Bürger sein Stiefkind aus einem Drittstaat in die Schweiz holen, ist dies kein Problem. Eine Schweizerin, die ihren Stiefsohn aus Brasilien oder Russland nachziehen will, hat dagegen schlechtere Karten.
Straftäter: Wird der aus einem Drittstaat stammende Ehemann einer Schweizerin wegen einer Straftat zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, ist eine Wegweisung absehbar. Ist der Straftäter hingegen mit einer EU-Bürgerin, die in der Schweiz wohnt, verheiratet, sind die Hürden ungleich höher: Der Straftäter muss das Land nur verlassen, wenn er mit hoher Wahrscheinlichkeit rückfällig wird.
FDP-Präsident warnt vor Zunahme der Scheinehen

Wie lange das Bundesgericht die Privilegierung von EU-Bürgern noch durchgehen lässt, ist offen. Vor drei Wochen verwarf es eine Praxisänderung mit drei zu zwei Stimmen. Eine politische Lösung ist nicht in Sicht. Die Mitteparteien, die Tschümperlins Vorstoss ursprünglich unterstützt hatten, haben sich mit der aktuellen Rechtslage arrangiert. FDP-Präsident Philipp Müller warnte im Parlament, eine Gleichstellung der Schweizer würde es einem erheblich grösseren Verwandtenkreis erlauben, mittels Familiennachzugs in die Schweiz zu kommen. Laut Müller würde auch die Problematik der Scheinehen verschärft, da die Ehegatten nach den Regeln des Freizügigkeitsabkommens nicht zusammenwohnen müssten; eine Kontrolle, ob eine Scheinehe vorliegt, sei praktisch unmöglich. Grundsätzlich ist laut Müller zu bedenken, dass der Familiennachzug aus Drittstaaten einer der wenigen Bereiche sei, in denen die Schweiz ihre Migrationspolitik noch selbst bestimmen könne.
(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 06.08.2012,
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